Handelsrelevante Wirbellose - Neue Wege in der Terraristik?
Von Jörg Hofmann
Unschwer ist zu erkennen, dass es nicht mehr nur einen reptilien- und amphibienlastigen Schwerpunkt in der Terraristik gibt, sondern mittlerweile die Wirbellosen einen großen Anteil der Terrarienbewohner ausmachen. Als ich Ende der 1970er-Jahre mit der Terraristik begann, gab es nur einige Vogelspinnenarten, sehr wenige Skorpione und an Insekten hauptsächlich Stabheuschrecken. Jede erfolgreiche Vogelspinnennachzucht war eine kleine Sensation, und neue Arten kamen selten und überteuert als Wildfänge nach Europa meist waren sie in wenigen Tagen abverkauft. Das Internet gab es noch nicht, und man erwartete sehnsüchtig die auf Papier gedruckten Preislisten der Reptilienhändler, die ebenfalls auch die Wirbellosen verkauften. Schaut man sich heutzutage auf Börsen um, findet man eine große Zahl an Insekten, insbesondere Käfer, Heuschrecken, Gottesanbeterinnen, Schaben und Wanzen. Dann gibt es unterschiedlichste Tausendfüßer, Hundertfüßer, Schnecken, Krebse, Geißelspinnen, Geißelskorpione, Walzenspinnen, Ameisen und so wie früher diverse Vogelspinnen und Skorpione. Selbst die Schmetterlinge werden heute auf klassischen Reptilienbörsen angeboten. Ich habe mich schon vor langer Zeit mit der Vermehrung und Pflege verschiedenster Schmetterlinge beschäftigt, die unter Entomologen regelmäßig getauscht wurden. Man bekam eine kleine Anzahl Schmetterlingseier in einem kleinen Schlauch per Post zugestellt, und schon nach wenigen Tagen schlüpften die Raupen, fraßen unglaubliche Blättermengen und verpuppten sich. Der Weg dieser so aufgezogenen Schmetterlinge endete normalerweise im Tötungsglas und danach auf der Insektennadel im Schaukasten. Der Sinn dabei war es, den perfekten Schmetterling zu erhalten, ohne Verletzungen, die die Tiere in der Natur fast schon zwangsweise erhalten. Noch in den 1990er-Jahren gab es praktisch keine Überschneidungen zwischen diesen Entomologen und Terrarianern, man belächelte meine damaligen Versuche noch, Kontakt ins Ausland zu bekommen, um neue Arten lebend in Menschenobhut zu erhalten und sie nicht nur aufzupieksen. Spannend waren für die Terrarianer damals eher die vielen neuen Lampropeltis-Arten und deren Farbformen, die gerade frisch aufkamen. Trotzdem war die Entwicklung nicht aufzuhalten. Man findet heutzutage immer mehr Schmetterlingszüchter auf den Reptilienbörsen, die parallel auch die klassischen entomologischen Börsen besuchen, wo man praktisch nur tote Insekten kaufen kann. Die Anzahl der Schachteln mit lebenden Wirbellosen auf den Börsen nimmt stetig zu, und hier ist die berechtigte Frage zu stellen, ob die Wirbellosen langsam die Reptilien und Amphibien verdrängen oder sie nur ergänzen? Nicht nur private Züchter verkaufen ihre Erfolge, sondern auch gewerbliche Züchter bieten eine große Fülle an Wirbellosen an, neben den mittlerweile industriell hergestellten Futtermitteln, wozu nicht nur Futterbreisorten gehören, selbst Käferlarven fühlen sich in ihrer Entwicklung in Bodengrund-Fertigmischungen wohl. Sie importieren immer neue Arten, und die Fülle nimmt von Jahr zu Jahr zu, genau wie die verschiedenen Internet-Foren über Wirbellose. Hier liegt auch das große Potential der Tiere, denn selbst wenn man sich nur mit einer Tiergruppe beschäftigt, wie beispielsweise den Gottesanbeterinnen oder Rosenkäfern, kann man eine riesige Artenzahl pflegen, und für so manchen Halter wird es regelrecht zur Sucht, möglichst viele Arten zu vermehren. Bizarr und kryptisch geformte Mantiden sind für wenig Geld zu haben und auch hier kommen jeden Monat neue Arten hinzu die meisten Arten sind gut zu halten und zu vermehren, jedoch muss man sie praktisch alle einzeln pflegen, ansonsten betrachten sie sich gegenseitig als Futtertier. Wenige Spezialisten unter den Gottesanbeterinnen sind problematisch in der Pflege, und mittlerweile kennt man auch die Tricks beim Futter, denn auch Insekten benötigen eine abwechslungsreiche Ernährung. Manche Züchter halten die kleinen Nachzuchten in riesigen Mengen an Plastikschachteln, so pflegeleicht sind die Insekten. Wenn dann aber zeitgleich zwei oder drei Kokons schlüpfen, steht man vor einem zeitraubenden Problem, denn die großen Nachzuchtmengen sind auch nicht so leicht zu verkaufen, gerade der Winter verschlimmert diese Situation noch. In der kalten Jahreszeit sind kaum Börsen, und auch der Versandtransport ist bei kalten Temperaturen problematisch. Täglich sind die Boxen zu versorgen, man muss sprühen, füttern und Futterreste entfernen, eine stundenlange Beschäftigung für den erfolgreichen Züchter.
Ganz andere Probleme hat man bei der Rosenkäferzucht. Hier pflegt man in erster Linie die dicken Engerlinge; die fressen im Erdreich vergraben morsches Holz, und sie sind peinlich sauber zu halten, denn ein Milbenbefall kann tödliche Folgen haben. Woran liegt der Reiz, eine dicke Larve monatelang zu pflegen, wenn das Vollinsekt in Form des Käfers nur sechs Wochen lang lebt? Es ist die Schönheit der Tiere, die sich von reifem Obst ernähren und die man gefahrlos in die Hand nehmen kann. Auch hier haben Züchter Regale voll mit kleinen Boxen und beschäftigen sich rührend um ihre krabbeligen Sechsbeiner. Die Generationsfolge dauert doch wesentlich länger als bei vielen anderen Insekten, und durch die vollständige Metamorphose liegt auch immer eine Puppenruhe vor, anders als z. B. bei den Heuschrecken. Manchmal muss man für große Käfer über die Larvalzeit und Puppenruhe drei Jahre warten, bis der adulte Käfer schlüpft, was u. a. für den beliebten Herkuleskäfer gilt.
Ein weiterer positiver Faktor ist sicherlich die kostengünstige Unterbringung der meisten Wirbellosen, es reichen vielfach Plastikboxen und Plastikterrarien, teure Beleuchtungstechnik, die bei den meisten Echsen lebensnotwendig wäre, ist meist gar nicht nötig. Beschränkt man sich auf wenige Arten, wäre auch der Platzbedarf als gering einzustufen, Futterkosten sind auch gering, denn für viele Wirbellose muss man das Futter selbst suchen oder kommt mit preiswerten Heimchen aus. In der Reptilienhaltung kommt ein weiterer finanzieller Faktor auf die Pfleger zu, der ebenso wie der zeitliche Aufwand oftmals unterschätzt wird: Stromkosten! Ein großes Terrarium mit Bartagamen verbraucht durchschnittlich 300 W Strom, wobei in einem solchen Fall die Beleuchtungsbedingungen als eher mangelhaft einzustufen sind. Mit 300 W bekommt man ein Terrarium zwar warm, jedoch kaum ausreichend hell. Wenn ein Terrarium mit so hohem Energieaufwand geheizt wird, steigt automatisch die Stromrechnung. Bei kleinen Insektenterrarien sind diese Kosten jedoch unerheblich und gut zu tragen, solange es sich um wenige Tiere handelt.
Die meisten Pfleger wirbelloser Tiere spezialisieren sich jedoch nicht auf nur eine Gruppe, sondern pflegen verschiedene Insekten, Spinnentiere oder Krebse zeitgleich oder auch nacheinander. Sie sind allesamt interessant in ihrer Haltung und ihren Verhaltensweisen. Seit langer Zeit schon haben sich die Vogelspinnen in den Terrarien etabliert, und sie werden seit Jahrzehnten reichlich gezüchtet. Hier bekommen insbesondere Einsteiger in der Wirbellosenpflege für sehr wenig Geld tolle Tiere, die sehr imposant werden können. Viele junge Vogelspinnen sind teilweise für 1 bis 5,- € zu haben, was jedoch für ihren Verbleib in der Terraristik nicht sehr förderlich ist. Wenn erst einmal die Preise so tief gesunken sind, dann bemühen sich die Züchter weniger, die Arten zu vermehren, wenn sie sie lange vor dem Verkauf versorgen müssen und sie nur ein paar Euro dafür bekommen. Durch die hohe Vermehrungsrate und die durchschnittlich gute Haltbarkeit verfügt der terraristische Markt in kurzer Zeit über viele Nachkommen einer Vogelspinnenart, auch der zu Anfang noch seltenen und teuren Arten. Die Tatsache aber, dass gerade Neuheiten auf dem Markt für sehr viel Geld gehandelt werden, deutet auf allgemeines großes Interesse hin und vielleicht auch auf gewerbliches Interesse an der Zucht verschiedenster Arten. Kauft man sich eine Vogelspinne für 1.000,- €, dann wird man als Pfleger alles daran setzen, diese Art zu vermehren, denn als erster Züchter kann man damit in kurzer Zeit viel Geld verdienen. Meist ist man aber nicht der erste Züchter oder zeitgleich verkaufen auch andere Halter ihre Nachzuchten, und die Preise fallen extrem schnell. Die Ernüchterung ist da, sie gilt nicht nur den Vogelspinnenzüchter, sondern auch für die Reptilienzüchter. Ein Phänomen, das ich schon seit vielen Jahren immer wieder beobachtet habe. Nach wie vor ungebremst ist das Interesse an den farbenfrohen Arten der recht friedlichen Gattung Brachypelma und der etwas unruhigeren Poecilotheria. Fast jeder Spinnenpfleger hat einige Exemplare aus diesen Gattungen, und neue Arten sind sehr begehrt. Die vor kurzer Zeit erstmals importiere Poecilothria metallica erzielte lange Zeit Höchstpreise und gehört seit etwa zwei Jahren zu den begehrtesten Vogelspinnen überhaupt. Der Pflegeaufwand erwachsener Vogelspinnen ist sehr gering, solange man eben keine Jungtiere versorgen muss. Er besteht in erster Linie aus dem Füttern und ab und zu aus Sprühen, um die Luftfeuchtigkeit zu erhöhen. Futterreste müssen regelmäßig entfernt werden, und man kann die meisten Vogelspinnen problemlos eine Woche ohne Pflege alleine lassen. Mit Reptilien oder Amphibien kann man das nicht machen. Diese Pflegeleichtigkeit verleitet Menschen gerne dazu, immer mehr Exemplare anzuschaffen und in eine regelrechte Sammelwut zu geraten, zumal die Tiere ja auch wirklich interessant sind.
Bei den Heuschrecken dominierten in den Anfängen noch Stabheuschrecken (Baculum spec.) und Gespenstheuschrecken (Extatosoma tiaratum), heute jedoch wird eine Vielzahl verschiedenster Phasmiden gepflegt, selbst neu beschriebene Arten finden schnell den Weg in die Terrarien. Die meisten dieser Arten sind problemlos mit Brombeerblättern oder Liguster zu ernähren, die man auch bei uns im Winter finden kann, denn sie werfen ihre Blätter nicht komplett ab. Darunter gibt es aber extreme Nahrungsspezialisten, die nur Farne fressen. Dank ihrer Robustheit und hohen Vermehrungsrate, verteilen sie sich schnell unter den Liebhabern.
Man darf durchaus von gewissen Trends sprechen, die der Haltung Wirbelloser Tiere unterliegen. Derzeit erkenne ich zwei Trends (neben den Rosenkäfern),die ich nur teilweise nachvollziehen kann. Zum einen sind das Schnecken, besonders die Gattung Achatina, zum anderen die Krabben der Gattung Geosearma, die gerade häufig gehalten werden. Die Achatschnecken sind sehr leicht zu züchten, und teilweise werden es gewaltige Tiere von bis zu 500 g Gewicht! Sie fressen große Mengen an Grünfutter und halten auch schon mal eine mehrmonatige Trockenruhe im Erdreich vergraben.
Die Vampirkrabben der Gattung Geosearma besiedeln große Bereiche Südostasiens, die meisten Arten werden aus Indonesien und den Philippinen importiert, und sie sind problemlos zu züchten. Als Allesfresser vertilgen sie sämtliches dargereichtes Futter, und sie halten sich als echte Landkrabben tatsächlich selten im Wasser auf. Farblich sind sie extrem hübsch gezeichnet und verfügen über ein buntes Spektrum verschiedenster Farbtöne, je nach Herkunft tragen sie z. B. rote oder weiße Scheren. Im Terrarium leben die Tiere tagsüber jedoch so versteckt, dass man sie nur selten zu Gesicht bekommt.
Sehr seltsame Tiere sind die Tausendfüßer, deren Trend schon vor einigen Jahren war. Trotzdem werden noch viele Arten gepflegt, und sie gehören zu den haltbarsten Wirbellosen überhaupt. Sie ernähren sich von Pflanzenresten und graben sich zur Häutung für einige Tage ein, ebenso für die Eiablage. Im Terrarium erreichen sie ein Alter von mehreren Jahren, und sie vermehren sich stetig, ohne jedoch im Bestand zu explodieren . Der ostafrikanische Archespirotreptus gigas ist die größte bekannte Art und erreicht Längen von bis zu 38 cm, und er trägt 256 Beine. Im Terrarium ist er sehr gut haltbar und gehört zu den beliebtesten Tausendfüßern. Im Vortrag stelle ich viele der kurz beschriebenen und auch weiteren Arten vor und möchte gemeinsam mit Ihnen die derzeitige Situation diskutieren. Auf meinen Forschungsreisen in die Regenwälder Süd- und Mittelamerikas sowie Asiens habe ich viele verschiede Wirbellose gefunden, die ich Ihnen in Wort und Bild zeigen möchte, und wir werden versuchen, eine Kamera zu installieren und auf einer zweiten Leinwand lebende Wirbellose zu präsentieren, um Ihnen eine ganz besondere Perspektive der verschiedenen Tiergruppen zu eröffnen, die vielfach nicht sehr groß sind und erst ihre Schönheit in der Vergrößerung preisgeben.
Autor:
Jörg Hofmann, Hamburg. Hat Biologie und Geographie studiert und war lange Zeit Vorstandsmitglied der DGHT-LV Hamburg, Sachverständiger für die Hamburger Behörden für Reptilien, Amphibien und Wirbellose. Arbeitete 25 Jahre im Groß- und Einzelhandel für Reptilien.